Ralf Wagner

Kommen die Kritiker zu spät?

169 Wirtschaftsprofessoren fordern eine Verschiebung der Währungsunion und die Medien wiegeln ab

Leserbrief zu Berichten und Kommentaren zu "Der Euro kommt zu früh..." (10.2.97)


Eigentlich sollten Journalisten hellhörig werden, wenn sich in Bonn Große Koalitionen bilden - oder wie war das jüngst mit dem Lauschangriff und der Pressefreiheit? Eigentlich sollten Journalisten auch nachsichtiger sein, wenn Proteste sich nicht sofort organisieren, kam der besagte Aufschrei in eigener Sache doch auch lange nach den Tränen von Sabine Leuthäuser-Schnarrenberger im Deutschen Bundestag.

Doch in Sachen Euro scheint die Koalition noch größer zu sein, sie scheint neben den Politikern auch noch die Journalisten zu umfassen. Oder wie sonst ist es zu erklären, daß nicht die Mahnung von 155 Wirtschaftsprofessoren die Überschriften ausmacht, sondern der geballte Rüffel aus Bonn. Und in der Tat, aus eigener Erfahrung weis ich, wie schwer es in den vergangenen Jahren war, Artikel oder auch nur Leserbriefe zu veröffentlichen, die auch nur auf die Probleme bei der Einführung des Euro hinwiesen. In Deutschland hat es eine öffentliche Diskussion um den Euro nie gegeben - auch, weil die Medien sie nicht zur Kenntnis nehmen wollten.

Und jetzt, wo ein Jahr vor der Währungsunion außer dem Kanzler, der sich wohl nicht auch noch von seiner letzten umstrittenen Prophezeihung verabschieden mag, niemand mehr von den Vorteilen der Euro spricht sondern wo es einzig um Schadensbegrenzung geht, sei es angeblich zu spät, das Projekt zu stoppen oder auch nur zu verschieben.

"Den Vertrauensverlust einer Verschiebung oder auch nur einer Diskussion darüber" könne man nicht hinnehmen. Ja welches Vertrauen würde denn verlorengehen? Das Vertrauen der Devisenmärkte in einen starken Euro gibt es ohnehin nicht, ansonsten gäbe es nicht ein starkes Pfund und die anhaltende Diskussion um die Flucht aus den Euro-Währungen. Das Vertrauen in die Einhaltung des Maastricht-Vetrages kann es auch nicht sein, denn ohne Umdeutungen und Tricks würde diese nur Luxemburg erfüllen. Würde man auf Maastricht vertrauen, käme es nicht zur Währungsunion. Das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler ist es sicher auch nicht. Die Wollen den Euro nicht, finden sich allerdings zunehmend damit ab, daß die Politik ihnen diesen verordnet Welch ein Vertrauen?!

Also Vertrauen in den wirtschaftlichen Sachverstand der Politiker? Auch das kann es nicht sein, denn dann hätten diese sich mit dem Papier inhaltlich auseinandersetzen und eine Antwort auf die Frage, wie durch den stärkeren Wettbewerb bei geringem Wachstum mehr Arbeitsplätze entstehen, geben müssen. Nun, da die viele rennomierte Wirtschaftswissenschaftler dies öffentlich für ausgeschlossen halten, darf man wohl getrost vom Gegenteil ausgehen: der Euro wird zunächst höhere Kosten und noch mehr Arbeitslosigkeit bringen. Und das erklärt auch die Nervosität der Politiker, die das nun zumindest wohl erahnen. Wenn sie jetzt von "Vertrauensverlust" sprechen, geht es eigentlich nur um eines, um den Gesichtsverlust, welchen sie selbst erleiden würden, es geht um das Eingeständnis, etwas vorangetrieben zu haben, dessen wirtschaftliche und damit auch politischen Folgen sie wenig bedacht hatten.

Doch aus diesem Eingeständnis darf man sie nicht entlassen, schon gar nicht, wenn die Einführung des Euro nicht verschoben wird. Denn dann kommt es darauf an, "schon" jetzt die möglichen Folgen zu diskutieren und nicht zu ignorieren. Wer die Probleme heute nicht zur Kenntnis nehmen will, wird sie morgen nicht vernünftig lösen können. Und dabei kommt den Medien ein bedeutsame Aufgabe zu, bei der es sicher auch um Vertrauen geht, Vertrauen in die Journalisten.

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