Ralf Wagner
[4.4. 2004]

Himbeereis für alle und die Rechnung an den Weihnachtsmann
Der neue deutsche Gewerkschafterpopulismus

Es ist schlimm, wenn für immer mehr Menschen die Perspektiven unklarer, die Lebensumstände schlechter und vor allem das Geld immer knapper wird. Insofern ist jeder Protest verständlich und eigentlich fragt man sich, warum nicht noch mehr noch öfter auf die Straße gehen. Noch schlimmer aber ist es, wenn Gewerkschaften, Alt- und Neulinke und Rundumprotestler genau diesen Teil der Bevölkerung als Gewicht für ihre eigene Halsstarrigkeit und Realitätsverweigerung benutzen und versuchen, den Eindruck zu erwecken, mit noch ein wenig mehr Umverteilung und noch ein wenig mehr Schulden ließen sich alle Probleme lösen. Und das sei auch noch viel sozialer.
Obwohl es eigentlich noch niemals erfolgreich funktioniert hat, wird stoisch gefordert, Wachstum mit noch mehr Staatsschulden anzukurbeln. Finanziert werden sollen vor allem Infrastrukturmaßnahmen und öffentliche Dienstleistungen - ein Investitionsprogramm also für polnische Bauerbeiter, britische Subunternehmer und den Staatsdienst. Die Rechnung für solchen Unfug geht - wie früher - an die nächste Generation. Die wird zwar zahlenmäßig geringer und muss schon die bislang aufgelaufenen Schulden sowie Billionen von Euro an Ansprüchen an die Rentenkassen abarbeiten, aber einen tief in sich und einer schlichten Staatsgläubigkeit ruhenden Gewerkschaftsfunktionär wird das nicht anrühren.
Nicht müde werden Deutschlands Topgewerkschafter auch, wenn sie betonen, die hier anfallenden Lohnkosten einschließlich Sozialbeiträge seien keineswegs zu hoch und noch dazu durch die hohe Produktivität gerechtfertigt. Nun lässt sich eine vergleichbare Produktivität bei vielen Jobs mit ein paar Investitionen auch in anderen Ländern mit ganz anderen Lohnkosten herstellen. Von diesen Ländern treten demnächst einige der EU bei. Ganz überrascht davon, dass Unternehmen aus den alten und neuen EU-Ländern diesen neuen Binnenmarkt auch nutzen werden und durch den Wettbewerb auch nutzen müssen, empören die Verteidiger der hohen Arbeitskosten - abermals eingeholt von der Realität - nun über die angeblich unpatriotische Auslagerung von Arbeitsplätzen in sogenannte Billiglohnländer. Dass das maßlose Aufpacken aller Kosten auf den Faktor Arbeit und "patriotische" Verhinderung von Auslagerung bei immer mehr Wettberbern nur mit patriotischen Konkursen oder dem Errichten neuer Mauern möglich wäre, ist zwar fast unmittelbar einsichtig, erschließt sich wohl aber nicht, wenn die eigene Ideologie keine Lösung mehr anbietet. Da schürt man lieber mit ein paar populistischen Losungen falsche Hoffnungen.
Und schließlich fand auch Norbert Blüm, der Erfinder der ewig sicheren Rente (auf jeden Fall zutreffend für seine eigne) , der Pflegeversicherung und der massenhaften Frühverrentung den Schulterschluss. Spätestens hier hätte den Demonstrierenden aber klar werden müssen, dass sie den falschen Propheten hinterherlaufen. Wie eine immer geringer werdende Zahl von Arbeitenden eine immer größer werden Zahl von Rentnern, die noch dazu viel eher in den Ruhestand gehen und - gottlob - auch immer älter werden, Einkommen und soziale Absicherung finanzieren soll ohne selbst zum Arbeitssklaven der Sozialsysteme degradiert zu werden, lässt sich nur von solchen Politikern erklären die weder ökonomischen Sachverstand noch elementare mathematische Fähigkeiten besitzen.
Und eben in diesem Defizit findet sich der gemeinsame Nenner all dieser schön klingenden Forderungen vom Wochenende. So brutal es klingt, aber von Transferleistungen kann man niemanden etwas wegnehmen, man kann schlimmstenfalls weniger geben. Wegnehmen kann man es nur denen, die Erwerbseinkommen erzielen. Aber spätestens wenn dadurch bei den Arbeitenden nicht viel mehr übrig bleibt als bei den Nichtarbeitenden sollte man merken, dass man die Bogen kräftig überspannt hat und die Vokabel "sozial" sich ins Gegenteil verkehrt. Wenn man dazu aber auch noch feststellt, dass all das zu immer weniger Arbeitenden - schon heute eine Minderheit - führt und dadurch natürlich nochmals weniger umverteilt werden kann, müsste man doch wohl erkennen, dass man kräftig an dem Ast sägt, auf dem man sitzt. Also "Gut Holz", liebe Gewerkschafter und träumt weiter Eure Märchen vom Segen der Umverteilung, die alle mit den Worten beginnen "Deutschland ist ein reiches Land...". Auch das stimmt schon lange nicht mehr.

Diskussionsforum zu den Artikeln | eMail | Fenster schließen