Ralf Wagner
[3.9. 2003]

Das deutsche Gesundheitssytem nennt sich solidarisch - ohne Grund. Die Bürgerversicherung auch.
zu Jutta Hoffritz: Das deutsche Gesundheitssytem nennt sich solidarisch - ohne Grund - in
DIE ZEIT 36/03

Irgendwie haben es Ulla Schmidt und Horst Seehofer wohl gespürt, dass ihr Versuch ein überfordertes System der Gesetzlichen Krankenversicherungen einzig auf Kosten der zwangsweise Versicherten wieder über ein paar weitere Jahre zu retten, von den so zur Kasse gebetenen als das erkannt wird, was es ist, eine noch teurere Nicht-Reform. Und um den Unmut abzulenken haben sie in der ihnen eigenen Logik die Perspektive nachgeschoben. Wenn das Gesundheitssystem schon so schlecht ist, dann wird es nicht etwa geändert oder gar abgeschafft, nein, es wird auf alle Erwerbstätigen ausgedehnt – nach dem Motto: „schlecht, aber dafür gerecht“. Ein Systemwechsel, wie behauptet, ist das ja wohl auch nicht sondern genau das Gegenteil: krampfhafter Systemerhalt.

Auch der Name ist Betrug, denn in dieser angeblich neuen Versicherung hat wieder einer nichts zu melden: der Bürger. Er ist wie bisher den Entscheidungen der Politiker, ihrer Kompetenz und auch ihrem ideologischen Eifer ausgeliefert. Und wenn kein Versicherter die Kosten kennt, die er verursacht, und für deren Reduzierung weder Möglichkeiten noch Anreize bekommt, keine Arzt genau weiß, was er verdient, Verbände und Standesorganisationen Tribut für ihre überflüssige Existenz fordern können, dann wird auch die Bürgerversicherung von allen Seiten überfordert werden, intransparent und wettbewerbsfeindlich bleiben.

Ebenso ist die Ankündigung, dass in die Bürgerversicherung alle einzahlen werden, eine Lüge. Wie bisher sollen nicht arbeitende Ehepartner kostenlos mitversichert bleiben. Der Beitrag der so zum Nulltarif Vollversicherten zum Solidarsystem bleibt dabei weiterhin ein durch die Politik unangetastetes Geheimnis ebenso wie Zahl der so Versicherten – manche sprechen von mehr als einem Drittel der Mitglieder der gesetzlichen Kassen – insgesamt. Und so wird es dabei bleiben, dass zum Beispiel eine ledige erwerbstätige Mutter mit ihren einkommensabhängigen Beiträgen Solidarität üben muss mit der kostenlos mitversicherten Hausfrau.

Und wie in der Politik leider üblich, scheint wieder niemand an die Folgen denken zu wollen. So wird die Ausweitung der Versicherungspflicht auf Beamte und Selbständige kaum mehr Geld in die Kassen spülen. Zum einen wird gerade durch die Beamten die Zahl der kostenfrei Mitversicherten eher steigen und zum anderen handelt es sich bei den Selbständigen nicht nur um Staranwälte und Vorzeigeunternehmer sondern wohl eher um Dienstleister, bei deren Einkommen Facharbeiter bei Daymler-Chrylser wahrscheinlich sofort an Streik denken würden.

Werden Beamte in die GKV einbezogen, fallen Arbeitgeberbeiträge an. Dafür muss an anderer Stelle gespart werden oder es werden die Steuern erhöht. Werden Selbständige, die ihre eigenen Arbeitgeber sind, in die GKV einbezogen, zahlen sie den vollen Beitrag. Hier setzt die Beitragspflicht bei den Selbständigen dann das fort, was sie durch hohe Lohnnebenkosten bei den abhängig Beschäftigten seit Jahren anrichtet: Job- bzw. Existenzvernichtung, weil sich dann viele Tätigkeiten einfach nicht mehr lohnen werden. Dann gilt: besser keinen Job als einen ohne Bürgerversicherung.

Die Gesetzlichen Krankenkassen Kassen lösen kein Problem – sie sind das Problem. Beamte und Selbständige sind heute wesentlich preiswerter und von den Leistungen her besser versichert als Pflichtversicherte. Daher würde doch wohl die Logik gebieten, nicht sie in die GKV einzubeziehen sondern umgekehrt den abhängigen Beschäftigten die Arbeitgeberbeiträge in Lohn umzuwandeln und sie sich dort versichern zu lassen, wo sie es wollen. Nur so entsteht der nötige Druck auf Kassen und Verbände, die Kosten in den Griff zu bekommen. Außerdem wäre es keine Beitragssenkung um 0,x Prozentpunkte sondern ein deutlicher Zuwachs im Realeinkommen um einige Hundert Euro - auch bei Geringverdienern und damit eine dauerhafte und wirkliche Reduzierung der Arbeitskosten.

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