Ralf Wagner

 
  Der Euro schafft keine Arbeitsplätze
  Leserbrief zu Heiner Geißler: Euro schafft Arbeitsplätze in: Berliner Zeitung vom 10. April 1997

Sehr geehrter Herr Geißler,

"Geld kann man nicht essen" hatten schon die Indianer ernüchternd festgestellt. Aber Arbeitsplätze soll es schaffen, so schreiben Sie. Allerdings nicht irgendein Geld sondern nur der Euro könne das.

Es ist löblich, daß sie die Begründung Ihrer Behauptung in den Lehrbüchern suchen. Allerdings sollten Sie dann nicht nur die Teile herausnehmen, die Ihnen ins Konzept zu passen scheinen.

Es ist sicher richtig, daß die Wechselkurse auch durch Spekulationen beeinflußt werden und damit den Außenhandel beeinflussen. Aber das ist nicht einmal die halbe Wahrheit.

Deutschland hat seit Jahren einen bedeutenden Exportüberschuß. Wenn unser Land aber der "übrigen Welt" ständig mehr verkauft als ich von ihr bezieht, muß sich das Ausland ebenso beständig D-Mark verschaffen, denn letztlich werden diese Güter bezahlt werden müssen. Schließlich wollen ja z.B. auch die Arbeitnehmer in der Exportwirtschaft in der Binnenwährung bezahlt werden.

Viel mehr als die Spekulation treibt als der Exportüberschuß die Nachfrage nach D-Mark und damit deren Kurs nach oben - und erschwert damit zugegebenermaßen die deutschen Exporte.

Wenn Sie aber in den Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre einmal weiterblättern, dann werden sie feststellen, daß diese Wirkung Devisenmarktes ebenso vernünftig ist wie die meisten Marktwirkungen. Märkte streben nun einmal zum Ausgleich und bestrafen ein dauerhaftes Ungleichgewicht wie es z.B. der Exportüberschuß ist. Das heißt aber nicht, daß Deutschland weniger exportieren sollte. Im Gegenteil. Unsinnige Beschränkungen der Importe nach Deutschland, die wir z.B. auf dem Agrarmarkt gerade der EU verdanken, müssen fallen, um unseren Handelspartnern die Möglichkeit zu gegeben, das Geld zu verdienen, mit dem sie auch weiterhin unsere Exportgüter kaufen können.

Aber noch einmal zum Dollarkurs. Immer, wenn der Dollar gegenüber der D-Mark fällt, geht ein Aufschrei durch die deutsche Exportwirtschaft, da sich deutsche Waren auf den Dollarmärkten verteuern. Was aber hört man von den gleichen Unternehmen, wenn, wie seit fast einem Jahr, der Dollar an Wert gewinnt und unsere Güter de facto billiger werden?

Und warum sollte sich dieses Problem mit der Einführung einer neuen Währung ändern? Dann wird es einen Dollar-Euro-Wechselkurs geben - und zu glauben, daß der stabiler werde, nur weil der Euro-Wirtschaftsraum größer sei, ist naiv. Mit der Größe und den nach wie vor vorhandenen Unterschieden zwischen Wirtschaftspolitiken der Europäer wachsen eher die Risiken.

Blieben die Auswirkungen, die der Euro in seinem neuen Geltungsbereich haben wird. Natürlich wird es dann innerhalb des Euro-Raumes kein Wechselkursrisiko mehr geben. Allerdings auch nicht mehr den Druck, den Außenhandel auszugleichen. Unzweifelhaft kommt das der deutschen Wirtschaft zugute, deren Handel mit fast allen EU-Ländern Überschüsse aufweist. Gleichzeitig wird dann natürlich die Neigung der deutschen Unternehmen, Güter aus Frankreich oder Italien, die vorher durch den Wechselkurs attraktiv erscheinen, zuzukaufen, abnehmen.

Auch das ist wieder vorteilhaft für die deutsche Wirtschaft, doch kann man annehmen, daß die Folgen dieses mit einem Schlag geschaffenen großen Marktes in "bewährter" Weise durch die Brüsseler Umverteilung ausgeglichen werden wird. Denken Sie zum Beispiel die Summen, die wir allein in Deutschland aufwenden, um die Produktivitätsunterschiede zwischen West und Ost zu lindern.

Da außerdem der europäische Binnenmarkt nicht explodieren wird, die sinkende Kaufkraft läßt eher das Gegenteil vermuten, wird die gemeinsame Währung mit Sicherheit von einem härteren Wettbewerb begleitet werden. Daß dieses nun wieder zu Rationalisierungsschüben führt, brauche ich sicher nur anzureißen.

Sehr geehrter Herr Geißler,

ich gebe zu, daß den Beleg dafür, wer die richtigere Prognose gestellt hat, in der Tat erst die Zukunft erbringen wird. Allerdings gibt der Vertrag von Maastricht mit seinen Folgen ja heute schon einen Vorgeschmack auf das zu Erwartende. Dieser ist allerdings alles andere als verlockend. Um die Kriterien des Vertrages, die sich übrigens aus keinem Lehrbuch ableiten lassen und ein reines Werk der Politiker sind, zu erfüllen, wird überhastet und ohne an die Folgen zu denken gespart.

Nun gibt es bei einer Abgabenquote wie der deutschen überhaupt gar nichts gegen Sparen einzuwenden, doch sollte sich das Ziel daraus ergeben, welche Aufgaben der Staat wirklich zu erfüllen hat und nicht, um dort zu streichen, wo die Lobby am dürftigsten ausfällt. Auf einer solchen Politik kann kein Segen liegen. Sie rächt sich schon heute, in dem sie durch Nachfrage- und damit Steuerausfall die öffentlichen Haushalte noch weiter weg von den Maastricht-Werten bringt.

Es ist höchste Zeit, daß sich die Wirtschaftspolitik wieder ihren eigentlichen Aufgaben zuwendet, den Reformstau endlich abbaut und nicht "wie das Kaninchen auf die Schlage Euro" starrt. Die USA haben trotz erheblicher Wechselkursschwankungen sieben Jahre Wachstum infolge, ohne daß sie mit Kanada, Mexico oder sonstwem eine neue Währung geschaffen haben. Neben den gern zitierten flexiblen Löhnen liegt das wohl vor allem daran, daß Politik und Industrie nicht auf Nebenkriegsschauplätze (wie wir mit dem Euro) ausweichen, sondern sich auf die Zukunftsmärkte und -produkte konzentrieren.

Der Euro allein wird keine Arbeitsplätze schaffen. Fatal wäre es daher, ihn als Alibi für Untätigkeit der hiesigen Wirtschaftspolitik zu mißbrauchen. Umgekehrt: Nur wenn es den Politikern gelingt, Wirtschaftswachstum ebenso zu fördern wie Beschäftigung - und das sichtbar - , wird das nötige Vertrauen dafür geschaffen, daß auch das Projekt Währungsunion gelingen kann. Eine Währung lebt letztlich von ihrer Akzeptanz, davon daß die Menschen sie wollen. Davon kann im Moment keine Rede sind - und das liegt nicht an den Maastricht - Kriterien.

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  Das Original: Euro schafft Arbeitsplätze

Von: Heiner Geißler, Vize-Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion
In:
Berliner Zeitung vom 10.04. 1997

Wenn ein Brot in Deutschland 3,50 Mark kostet und der gleiche Laib in einem anderen Land sieben Franken, Gulden oder wie auch sonst die Währung heißen mag, dann sollte man meinen, die Währungen würden 1:2 umgetauscht. Dieser Gedanke wird in volkswirtschaftlichen Lehrbüchern als Kaufkraftparität bezeichnet, das heißt die Wechselkurse richten sich nach den getauschten Gütern und - sieht man von Transportkosten ab - sie kosten alle überall das gleiche, nur ausgedrückt in verschiedenen Währungen. Wenn das stimmen würde, dann wäre eine Diskussion um eine neue Währung völlig unsinnig. Tatsächlich wird aber der Wechselkurs, insbesondere zwischen der Deutschen Mark und dem US-Dollar, nicht nur durch die Güterpreise bestimmt, sondern vor allem auch durch Spekulationen. An den Devisenmärkten wird börsentäglich ein durchschnittlicher Betrag von rund 1 200 Milliarden US-Dollar umgesetzt, bei einem jährlichen Handelsvolumen von knapp 5 000 Milliarden Dollar im Jahr! Kleinste Veränderungen haben tiefgreifende Wirkungen. Andre Leysen, Aufsichtsratsvorsitzender der Agfa-Gevaert-Gruppe, schrieb, daß jede Dollarbewegung um zehn Pfennig in der Ertragsrechnung seines Unternehmens eine Veränderung von 50 Millionen Mark ausmache. Der größte Konkurrent seines Unternehmens sei in Amerika ansässig. Der niedrige Dollar, wie man ihn in den vorigen Jahren erlebt habe, beeinflusse die Ertragsrechnung der Agfa-Gevaert mit über 200 Millionen Mark. Mühsam erzielte Produktivitätsfortschritte können so innerhalb kürzester Zeit - über Nacht - durch spekulativ initiierte Kapitalmarktbewegungen zunichte gemacht werden. Dem wirkt der Euro entgegen, er ist ein schwerer Schlag gegen die Spekulanten. Die arbeitsplatzschaffende Wirkung des Euro liegt darin, daß er das Wechselkursrisiko und damit die kostenträchtigen Schwankungen der Preise verringert. Mit dem Euro wird im Binnenhandel das Wechselkursrisiko ausgeschaltet. Das ist wichtig, denn über 60 Prozent unseres Exports geht nach Europa. Der Euro wird auch zur Beruhigung der Weltmärkte beitragen. Die Deutschen sind stolz auf ihre stabile Mark. Durch den Euro, der genauso stabil sein wird, wird sich nichts ändern. Die stabile Mark war etwas Besonderes, als die Länder um uns herum hohe Teuerungsraten hatten, während in der Bundesrepublik Deutschland die Preise nur gering stiegen. Auch heute haben wir in Deutschland Preisstabilität, aber die meisten Länder um uns herum inzwischen auch. Die Angst vieler Deutscher vor dem Euro ist auch von daher unbegründet.
© G+J BerlinOnline GmbH, 21.04.1997

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