Ralf Wagner
3/1997
Zweierlei Maß
Eine Ausstellung in München zeigt der die Schwierigkeiten, sich
der eignen Vergangenheit zu stellen
Wenn (west-) deutsche Richter, (west-)
deutsche Journalisten, (west-) deutsche Politiker über DDR-Mauerschützen
urteilen, dann steht es außer Frage, daß diese die Unrechtmäßigkeit
ihres Tuns hätten erkennen müssen. "Wir im Westen"
haben das ja schließlich auch erkannt - zumindest dann, wenn es
denn uns interessiert hat.
Geht es aber darum, die Geschichte
der Wehrmacht zu beleuchten (oder auch der Justiz oder des Auswärtigen
Dienstes) - und damit die eigene - , dann ist diese
Erkenntnisnotwendigkeit überhaupt nicht mehr so klar. Erschießungskommandos
für Vergeltungsaktionen können sich selbstverständlich auf den
sog. Befehlsnotstand berufen, die Führung der Wehrmacht war
"innerlich" verärgert, wenn die Befehle Hitlers
weitergegeben wurden und von einem Wehrmachtsgeneral zu
verlangen, einen von vorn herein als Eroberungskrieg angelegten
Feldzug als solchen zu erkennen, scheint gänzlich unzumutbar.
Gerade dieses Zurückweichen, wenn
es um die e i g e n e Vergangenheit geht, ist es, die immer
wieder Zweifel daran aufkommen läßt, ob die Deutschen wirklich
aus der Geschichte gelernt haben - von Pensionen für wirklich an
Kriegsverbrechen Beteiligte oder für die Witwe des
Volksgerichtshof-Präsidenten Freisler z. B. ganz zu schweigen.
Bis zu den mutigen Worten von Roman Herzog in Warschau galt es ja
auch noch als quasi offizielle Sprachregelung, von "den in
deutschem Namen" verübten Verbrechen zu sprechen. Ja von w
e m denn wohl, wenn nicht von Deutschen?!
Die eigene Verantwortung bzw. die
der eignen Vorfahren zu akzeptieren, schließt keineswegs eine
differenzierte Bewertung aus. Ganz im Gegenteil. Wie furchtbar muß
es für Wehrmachtsangehörige gewesen sein, die Hitler und den
Krieg durchschaut hatten und trotzdem kämpfen mußten? Wie
schlimm muß es aber auch nach dem Krieg für die zurückkehrenden
Soldaten gewesen sein, zu erkennen, von welchem unmenschlichen
Regime sie mißbraucht wurden, zum Töten veranlaßt wurden oder
selbst zum Krüppel gemacht wurden.
Dies alles zu Verdrängen und den Zweiten Weltkrieg auf eine nach fast "sportlichen Regeln" durchgeführte Auseinandersetzung zu reduzieren - die Greueltaten wurden nur von einer kleinen Clique begangen - mag für den Anfang bequem gewesen zu sein und die Qualen mit der persönlichen Vergangenheit erträglicher gemacht haben. Für ein Deutschland, das nach innerem Ausgleich strebt und von anderen zunehmend gefordert ist, wäre eine Verweigerung der eigenen Geschichte aber die schlechteste aller möglichen Varianten.